Lesen finden wir super und auch wahnsinnig wichtig. Zusammen mit den Kindern, aber gern auch allein und ganz für uns Papas. Daher stellen wir euch bei uns im Vätermagazin auch immer wieder spannende Lesetipps für Kinder und Väter vor. Und wenn wir dann sogar in einem Buch als Magazin empfohlen werden, dann freut uns das nicht nur. Es ist auch ein toller Anlass, das Werk und den Kopf dahinter vorzustellen. Denn der scheint ja reichlich Ahnung zu haben, was gut ist ;-) Daher ist hier unser Interview mit Carsten Vonnoh, dem Autor des Buches „Up to Dad“.
Als Coach, systemischer Therapeut und Berater für Väter und Familien nähert sich Carsten Vonnoh dem Thema von der analytischen Seite. Er leitet Seminare und Workshops rund um Konfliktbearbeitung und Weiterentwicklung von Vätern und tritt bei Kongressen als Experte zu Väterfragen auf. Das passt super, denn Fragen haben wir euch.
Interview mit Carsten Vonnoh
1. Du bist Vätercoach mit dem Unternehmen „Väter in Verantwortung“. Worin „trainierst“ Du die Papas denn?
Der Begriff Coach ist ja mittlerweile total aufgeweicht und ich nutze viel lieber den Begriff Begleiter. Denn ich begleite darin, dass Väter bewusster werden in dem was sie tun, Alternativen dazu finden, was sie nicht mehr tun wollen und mit sich selbst zufriedener sind. Ich unterstütze dabei, wirkliche Beziehungen zu gestalten und volle Verantwortung für sich und ihre Familie zu übernehmen.
2. Aus welchem Anlass nehmen Väter und Familien Deine Dienste als Coach in Anspruch?
Die Themen können sehr unterschiedlich sein, oft führt aber die Angst vor Trennung, der übergroße Druck und die Erfahrung des Scheiterns dazu, dass sich Männer bei mir melden. Auch Frauen, denen ihre Familie und ihrer Partnerschaft total wichtig sind, die aber keinen guten Zugang mehr zu ihren Männern finden, tun das, um Unterstützung dabei zu bekommen, die Dinge neu zu betrachten, anders anzugehen, wieder einen Zugang zu sich selbst und als Paar zu finden. Oft ist Erschöpfung ein Thema, fehlende Augenhöhe beim Thema Erziehung, Wut und Aggression, Ängste und Ohnmacht, aber auch die Gestaltung der Zeit während und nach einer Trennung.
3. Das Vaterbild verändert sich massiv, wenn ich an meine eigene Kindheit denke. Wie können Väter heute ein gutes Vorbild sein?
Ich glaube, wir kommen in unserer immer schneller werdenden und komplexeren Welt nicht weiter, wenn wir versuchen in diesem Tempo mitzugehen. Ich glaube, dass wir als Männer Vorbild darin sein können, uns selbst und unsere Begrenzungen ernstzunehmen. Zu fühlen, was wirklich da ist, herauskommen aus dem funktionieren zu lernen, wirklich da zu sein, echt zu sein. D.h., ganz konkret meinem Kind zu zeigen, dass es okay ist, Fehler zu machen, das es in Ordnung ist, traurig, erschöpft und wütend zu sein.
Und damit einen besseren Weg zu finden, als dass vielleicht unsere eigenen Väter gefunden haben. Im Grunde: wirklich da zu sein, wenn sie uns brauchen und gleichzeitig so gut für uns zu sorgen, dass wir dann auch wirklich Halt geben können.
4. Inwieweit hat es Einfluss auf die Vaterrolle, ob man Töchter oder Söhne hat?
Ich bin nicht sicher, ob es da einen wesentlichen Unterschied gibt. Einen der wichtiger wäre als der individuelle Unterschied zwischen den eigenen Kindern. Aber wir werden merken, dass unsere Töchter uns ganz anders herausfordern als unsere Söhne. Möglicherweise haben wir schnell einen Zugang zu einem von beiden und wissen intuitiv, was ihm oder ihr gut tun würde. Natürlich gibt es tendenzielle Präferenzen, Aber ich bin immer wieder überrascht, wie zum Beispiel meine Tochter sehr nach Wettbewerb und Rangeln sucht, mein Sohn da weniger Interesse daran hat.
5. Schon in den gut 9 Jahren Daddylicious hat sich aus unserer Sicht die Rolle der Väter massiv verändert. Wo stehen wir heute und was sind aus deiner Sicht dringende Baustellen?
Ja, das denke ich auch! Ich muss aber ein wenig aufpassen, unsere Blase nicht zu verallgemeinern. Ich glaube, dass heute viele Männer ihrer Verantwortung als Vater noch einmal ganz anders gerecht werden wollen, anders für ihre Kinder da sein wollen und andere Prioritäten setzen. Der Wille ist oft da, Trägheit, Unbewusstheit und Hilflosigkeit sorgen aber oft dafür, dass daraus nicht viel konkretes wird. Und viele wieder ein altere Muster fallen.
Wir können uns als Männer nicht mehr darauf verlassen, dass die Mutter unserer Kinder schon alles im Blick haben wird, sie schon sagen wird, was wir zu tun haben.
Carsten Vonnoh
Das ist alles andere als Augenhöhe und Selbstwirksamkeit. Und wenn ich das ändern will, muss ich mir klar werden, wie genau, was mein Anteil daran ist und wie ich das mit der Mutter meiner Kinder bespreche und gestalte. Wir müssen Initiative ergreifen, uns informieren, austauschen, Lebensbedingungen überprüfen. Und offener werden, für das wohlmeinende von den Frauen an unserer Seite. Gleichzeitig aber unsere Grenzen und Bedürfnisse ernst nehmen, so wie wir das auch für unsere Kinder wollen.
6. Themen wie Vereinbarkeit und der Spagat zwischen Job und Familie sind allgegenwärtig. Gibt es ein Patentrezept, um darin die Mitte zu finden?
Wahrscheinlich weißt du schon genau, dass es dieses Patentrezept nicht gibt. Und ich möchte hier auch nichts empfehlen. Das einzige, was mir wichtig erscheint, ist, die Kommunikation in der Partnerschaft beziehungsweise als Eltern nach und nach so zu entwickeln, dass wirklich echt miteinander gesprochen werden kann, dass wirklich über die Belastungen ohne bewerten oder Geringschätzung gesprochen werden kann.
Und damit eine Basis entsteht, zu lernen, was für uns als Paar und Familie wirklich gut ist, über alle inneren und äußeren Ansprüche hinweg. Und das immer wieder zu überprüfen. Das kann auch bedeuten, sehr radikal Abstriche zu machen, aber auch das Annehmen von Umständen, die gerade nicht zu ändern sind oder eben neue Umstände zu gestalten.
7. Wo stehen wir in der Gesellschaft? Wann sind Hausmänner und Karrierefrauen kein Diskussionsthema mehr?
Ich fürchte, das wird uns noch eine ganze Weile beschäftigen. Gerade wenn es darum gehen soll, dass Eltern mit weniger Druck und mehr Präsenz bei ihren Kindern sein können, dann muss sich noch einiges tun. Und das hat in der Tat genauso viel mit den Vätern zu tun wie mit den Müttern. Das hat damit zu tun, wie echt und ehrlich ein Gespräch in der Partnerschaft passieren kann, wie wir uns unsere eigene Grenzen und Bedürfnisse eingestehen. Und immer wieder schauen, was wirklich gut für unsere Familie wäre. Dass wir uns als Väter miteinander austauschen, voneinander lernen, uns mit den Themen beschäftigen, wo die meisten Frauen schon inhaltlich sehr viel weiter sind.
Dass wir als Männer wirklich beschließen, Verantwortung in vollen Umfang zu nehmen, für uns selbst, für unsere Kinder und unsere Familie als Ganzes. D.h., dass wir im Grunde noch in vielen Bereichen Pionierarbeit leisten müssen: Mut und Klarheit bei unseren Jobs zeigen, um Bedingungen zu bekommen, die viel besser sind als das, was im Moment für viele möglich ist. Bei vielen Unternehmen wird nach wie vor stark geringgeschätzt, wenn vor allem Väter sich herausnehmen, ihre Kinder ernster als ihre Arbeit zu nehmen. Es gibt eine Menge Druck von gesellschaftlicher Seite, eine Menge auch innerer Anspruch von Vätern und auch Druck durch die Frauen an ihrer Seite.
Und die Antworten auf diesen Druck sind in vielen Fällen noch nicht da. Bisher orientieren sich alle krampfhaft an einer 50:50 Aufteilung, die zwar oft gut sein kann, aber vielen Eltern auch noch mehr Druck macht als bisher schon. Vielleicht ist für eine andere Familie viel stimmiger, dass da ein anderer Prozentsatz gewählt wird und das darf dann auch ok sein.
Gesellschaftlich muss klar sein, dass die Familie (in all ihren Formen) im wesentlichen den Grundstein für unsere Zukunft legt, dort braucht es früh und massiv Unterstützung, Respekt vor der Sorge Arbeit und gleichzeitig eine substantielle Verbesserung von Betreuungsmöglichkeiten und Flexibilität in der Arbeitswelt. Möglicherweise sind die Begriffe Hausmänner und Karriere Frauen dann in 30 Jahren kein ernsthaftes Thema mehr.
8. Wie bewertest Du die Entwicklung mit dem Homeoffice? Sind Väter so näher an ihre Kinder gerückt?
Es gibt dazu ja ziemlich unterschiedliche Studienergebnisse. Festzuhalten ist auf jeden Fall, dass in der Tat auch Väter substantiell mehr Verantwortung für ihre Kinder übernommen haben als das zuvor der Fall war. Viele Männer haben noch mehr gesehen, was es bedeutet, voll verantwortlich für die Kinder zu Hause zu sein. Sie sind öfter an ihre Grenzen gekommen, haben ihre Kinder anders und intensiver erlebt und haben sich darauf eingelassen, daraus zu lernen.
Oder, sie haben sich bewusster noch auf ihre Arbeit zurückgezogen, weil sie mit der Überforderung noch nicht gut umgehen konnten. Beide Potenziale sehe ich und würde mir wünschen, dass Väter gesamtgesellschaftlich ernster genommen werden, nicht im Sinne von übertriebener Lobhudelei sondern als Selbstverständlichkeiten im Leben eines Kindes.
9. Die Zahl der Trennungen von Eltern nimmt weiter zu. Was rätst Du getrennten Vätern in Bezug auf ihr Verhalten den Kindern gegenüber?
Viele Väter sind während und nach einer Trennung mit großen Ängsten, mit viel Wut und Ohnmacht konfrontiert. In den meisten Fällen sind sie es nicht, die eine Trennung aussprechen, doch selbstverständlich sind sie großer Teil der Entwicklung gewesen, die vermutlich schon Jahre zuvor begonnen hat. Mein Appell an Väter in solchen Situation wäre: nutzt die Chance, wirklich auf euch zu achten, zu überprüfen ob das Leben, was jetzt beginnt nicht anders gestaltet werden sollte, damit es euch gut geht. Übernehmt Verantwortung für eure Versäumnisse und gleichzeitig auch die Schritte hin zu mehr Souveränität und Achtsamkeit.
Denn nur wenn es euch gut geht, könnt ihr auch gut bei euren Kindern sein, gut auffangen, was da an Stress und Komplexität in einer Trennungssituation auftaucht. Dazu gehört eben auch, sein eigenes Stresslevel gut im Blick zu behalten und durch die neue Verantwortung offen zu sein, jeden Tag dazuzulernen. Aber auch Milde mit sich selbst zu sein, weil getrennterziehend mit einem Beziehungsorientierten Anspruch nach wie vor eine hohe Kunst ist.
Auch da haben wir selten Vorbilder, an denen wir uns orientieren wollen, hören oft nur von Hochstrittigkeit und Rosenkrieg. Und dennoch gibt es sehr viele Ex-Paare, die sehr gute Rahmenbedingungen für ihre Kinder schaffen können. Das bedeutet auch, ehrlich und ohne Vorwurf zu kommunizieren, klar auf seine Bedürfnisse und Grenzen zu hören, ohne den anderen schlecht zu machen und für seine Lebenssituation verantwortlich zu machen.
Es ist wichtig, sich früh Unterstützung zu holen, wenn wir merken, dass wir gerade nach der Trennung nicht gut für unsere Kinder sorgen können, emotional nicht präsent, in der Flucht vor unserem eigenen Prozess möglicherweise in einen unsinnigen Kampf geraten. In den meisten Fällen führt das dazu, dass wir die Anspannung erhöhen, und die Bedingungen für unsere Kinder verschlechtern. Ich würde Vätern auch empfehlen, genau zu prüfen, welches Modell gerade wirklich sinnvoll und gut umsetzbar ist. Auch hier geht es aus meiner Sicht nicht darum, alles 100-prozentig auszugestalten, sondern klar zu schauen, was für einen bestimmten Zeitraum bestmöglich für alle Beteiligten ist, natürlich mit besonderem Blick auf die Kinder.
Gegenüber den Kindern ist es wahnsinnig wichtig, wirklich den Raum zu schaffen, das zu besprechen, was in der Trennung hochkommt. Die Traurigkeit, die Ängste, die Wut und den Ärger, vielleicht auch der Loyalitätskonflikt, der schnell entstehen kann. Dafür sind wir als Vater verantwortlich und als Eltern in der Pflicht, unsere eigenen Verletzungen in den Hintergrund zu ziehen, damit diese drastische Veränderung für die Kinder so gut wie möglich gestaltet werden kann.
10. Du hast das Buch „Up to Dad“ veröffentlicht. Wer sollte das Buch lesen? Adressierst Du explizit die Papas?
Das Buch richtet sich an Väter, die spüren, dass da noch mehr geht. Väter, die mehr wollen, die souveräner und entspannter sein wollen, die mehr über sich und ihre Kinder lernen wollen und in ihrer Elternschaft mehr auf Augenhöhe sein wollen. Zwar lesen das Buch nicht wenige Mütter, aber ja, mein Ziel ist es, als Vater für Väter zu schreiben.
11. Aktuell wird eher gefordert, dass sich Väter noch stärker einbringen. Du willst sie mit dem Buch motivieren, ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu entdecken. Beißt sich das nicht?
Naja, nicht weniger als das bei Müttern tut. Wenn ich ständig noch mehr von allem mache und will, glaube zu müssen, dann funktioniert das in der Tat nicht. Mein Buch ist dir ein innehalten, wirklich zu schauen, was wesentlich ist und dann nach und nach weg zu kommen von einem ständigen MUSS. Wir haben die Möglichkeit, aus diesen getrieben sein auszubrechen, und das braucht eher ein weniger von vielem. Zum Beispiel, nicht ständig irgendein Programm für unsere Kinder haben zu wollen, stattdessen wirklich ohne Ablenkung einfach da zu sein, wirklich ansprechbar und präsent, wenn unsere Kinder das brauchen.
12. Väter tauschen sich weniger aus und lesen wahrscheinlich auch weniger Bücher über ihre Vaterrolle als die Mütter. Wie würdest du sie in kurzen Sätzen für dein Buch begeistern?
Wenn ihr bis jetzt noch nicht angefangen habt: ihr seid die Gestalter eures Lebens! Ihr seid wesentlich für die Familienatmosphäre und die Entwicklung eurer Kinder! Ihr könnt viel mehr beeinflussen, als ihr denkt, anders in Konflikten reagieren, echter und souveräner sein.
Diese große Verantwortung halbwegs entspannt zu übernehmen passiert nicht einfach so. Sie braucht Auseinandersetzung mit euch selbst, mit eurer Geschichte und mit dem, wie wir Erziehung neu denken müssen. Dafür ist mein Buch DER Begleiter!
- Vonnoh, Carsten (Author)
Up to Dad von Carsten Vonnoh
- Titel: Up to Dad
- Verlag: Beltz
- Autor: Carsten Vonnoh
- Sprache: Deutsch
- Gebundene Ausgabe: 256 Seiten
Lieber Carsten, lieben Dank für deine umfangreichen Infos. Das ist sehr spannend und wir werden die Entwicklung weiter verfolgen. Mehr Infos zu Deinem Leistungsangebot findet man auf Deiner Website. Außerdem gibt es regelmäßig Update auf Instagram. Dir weiterhin viel Erfolg!