Die meisten Eltern führen schon mit ihren Kleinkindern ziemlich wilde Diskussionen und verzweifeln sicherlich auch das ein oder andere Mal an der Bockigkeit und der verständlicherweise noch eingeschränkten Weitsichtigkeit von ihrem Nachwuchs. Und trotzdem solltet ihr ihnen den Platz für Entfaltung lassen, denn Kinder dürfen und sollen ihre Meinung sagen. Und das muss auch nicht immer zwangsläufig eurer Meinung entsprechen. Kinder führen Gespräche mit Freund:innen und Verwandtschaft, gehen später möglicherweise auch demonstrieren, werden politisch aktiv oder setzen sich für den Tierschutz oder die Umwelt ein. Als Eltern und Bezugspersonen solltet ihr eure Kinder nach besten Wissen und Gewissen dabei unterstützen, ihre Meinung zu vertreten und zu verteidigen.
In der kunterbunten Welt des Familienlebens gibt es kaum eine wertvollere Fähigkeit, als die Kunst, seine eigene Meinung zu äußern und gleichzeitig die Standpunkte anderer zu respektieren. Dieses Miteinander aus Ausdruck der eigenen Gedanken und Empathie für die Sichtweisen anderer bildet das Herzstück gesunder zwischenmenschlicher Beziehungen. In einer Welt, die zunehmend von Vielfalt geprägt ist, ist es von unschätzbarem Wert, Kindern beizubringen, wie sie ihre Stimme erheben können, während sie gleichzeitig offen für die Meinungen und Überzeugungen ihrer Mitmenschen bleiben.
Dieser Prozess, Kinder zu ermutigen, ihre Meinung auszudrücken und Respekt für andere zu entwickeln, beginnt nicht erst in der Schule oder sogar erst im Teenageralter. Er findet seine Wurzeln bereits in den frühesten Jahren der kindlichen Entwicklung. Kleine Schritte, die in der frühen Kindheit unternommen werden, legen das Fundament für eine lebenslange Fähigkeit, die nicht nur die Qualität der Beziehungen beeinflusst, sondern auch die Rolle als aktiver Bürger in der Gesellschaft prägt.
Die Bedeutung, die eigene Meinung zu äußern
Kinder, die von klein auf ermutigt werden, ihre Gedanken und Ideen zu teilen, entwickeln ein starkes Selbstvertrauen und ein gesundes Selbstbewusstsein. Sie lernen, dass ihre Stimme wertvoll ist und dass ihre Meinung zählt. Dieses Verständnis hilft ihnen, später im Leben besser für ihre eigenen Bedürfnisse einzustehen und fundierte Entscheidungen zu treffen. Zudem fördert es ihre kritischen Denkansätze und ihre Fähigkeit, die Gedanken klar und präzise zu formulieren.
Die Kunst, Empathie und Toleranz zu entwickeln
Gleichzeitig ist es von entscheidender Bedeutung, Kindern beizubringen, andere Meinungen anzuerkennen und zu respektieren. Die Fähigkeit zur Empathie ermöglicht es Kindern, sich in die Lage anderer zu versetzen und ein tieferes Verständnis für die Vielfalt der Welt um sie herum zu entwickeln. Indem sie lernen, verschiedene Perspektiven zu akzeptieren, werden sie befähigt, Konflikte konstruktiv zu lösen und wertvolle zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen.
Der richtige Zeitpunkt, um anzufangen
Der Start dieser wertvollen Fähigkeiten wird am besten in den frühesten Jahren angesetzt. Schon im Vorschulalter können Eltern und Erziehungsberechtigte spielerisch Gelegenheiten schaffen, in denen Kinder ihre Gedanken äußern können. Dies kann das Erzählen von Geschichten, das Spielen von Rollenspielen oder das gemeinsame Lösen von Alltagsproblemen sein. Mit zunehmendem Alter können Kinder in Diskussionen über Familienentscheidungen einbezogen werden, wodurch sie lernen, ihre Meinung zu äußern und Kompromisse zu finden.
7 konkrete Tipps
Die Kollegen der SOS-Kinderdörfer haben zu diesem Thema noch ein paar ganz handfeste Tipps, wie Eltern und Erziehungsberechtigte Kinder dabei unterstützen können, ihre Meinung auszudrücken und gleichzeitig Empathie und Toleranz zu entwickeln. Denn in einer Welt, die von Vielfalt geprägt ist, ist es unsere Verantwortung als Erwachsene, die nächste Generation darauf vorzubereiten, mit Offenheit, Respekt und Verständnis aufeinander zuzugehen.
1. Eigene Meinung stärken
Ermutigt euer Kind von Beginn an dazu, seine Gedanken offen auszusprechen. Hört aufmerksam zu, wenn es von seinen Erlebnissen erzählt, vielleicht bei einem abendlichen Ritual. Wenn Kinder schon früh merken, dass ihre Ansichten zählen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie dies auch in Interaktionen mit anderen anwenden. Indem du respektvoll und konzentriert zuhörst, gibst du deinem Kind zudem eine Orientierung für den Umgang mit anderen.
2. Mitbestimmung im Alltag
Beziehe dein Kind in Entscheidungen des (Alltags-)Lebens ein und trefft gemeinsam Vereinbarungen. Zum Beispiel könnt ihr eure Freizeit bewusst zusammen planen. Jedes Familienmitglied kann abwechselnd Vorschläge einbringen. Auch hier zählt: Wenn Kinder und Jugendliche erleben, dass ihre Stimme zählt, gewinnen sie Selbstvertrauen, ihre Ansichten klar zu vertreten.
3. Offen über Themen sprechen
Fördere eine offene Gesprächsatmosphäre. Wenn ihr in der Familie über aktuelle Themen diskutiert, gib auch der Meinung deines Kindes Raum. Hab Verständnis, wenn es etwas nicht weiß. Wenn dein Kind Fragen stellt, versuche, sie bestmöglich zu beantworten oder recherchiert gemeinsam. Vermeide Sätze wie „Du bist noch zu klein dafür“ oder „Wenn du älter bist, erkläre ich es dir“. Sprecht über Themen, die dein Kind beschäftigen.
4. Andere Ansichten respektieren
Dein Kind sollte lernen, verschiedene Meinungen zu achten. Hier helfen konstruktive Familien-Diskussionen, bei denen du mit gutem Beispiel vorangehst. Bei Konflikten mit Freund:innen oder Lehrer:innen unterstütze dein Kind, indem ihr gemeinsam überlegt, wie die Perspektive der anderen Person aussehen könnte. Wenn dein Kind einen Fehler macht, sprecht darüber, wie eine Entschuldigung aussehen könnte.
5. Kinderrechte verstehen
Kinder sollen ihre Rechte kennen. Sprich mit deinem Kind altersgerecht über Kinderrechte. Aktuelle Ereignisse bieten oft Anlässe, um dies anzusprechen. Zum Beispiel, dass jedes Kind fair behandelt werden muss, unabhängig von Aussehen oder Herkunft. Oder dass Kinder das Recht haben, ihre Meinung bei einer Demonstration zu äußern. Wenn Kinder ihre Rechte kennen, können sie sich leichter dafür einsetzen. Hier gibt es weitere Informationen der SOS-Kinderdörfer zu den Kinderrechten.
6. Aktionen unterstützen
Unterstütze dein Kind, wenn es sich für wichtige Anliegen einsetzen möchte, sei es eine Müllsammelaktion oder ein Protest gegen Ungerechtigkeit in der Schule. Erkläre, was Demonstrationen sind, und begleite dein Kind zu einer Demo, wenn es das möchte. Lass dein Kind auch an Aktionen teilnehmen, die dir wichtig sind, aber übe keinen Druck aus.
7. Freiwilligkeit zählt
Wichtig ist: Kinder sollten aus eigenem Antrieb handeln. Ihre Meinung zu vertreten, kann bedeuten, eine andere Ansicht als die der Eltern zu haben.
Mit diesen Tipps seid ihr auf einem guten Weg, die Toleranz zu fördern, den Horizont zu erweitern und auch das Selbstbewusstsein eures Kindes zu stärken.
Mit freundlicher Unterstützung von Rat auf Draht, der Elternseite von SOS-Kinderdorf Österreich
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