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Interview mit Wolf Küper zum Buch und Kinofilm „Eine Million Minuten“

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Viele Väter spüren den Druck und den Wunsch nach Vereinbarkeit, um im Spagat zwischen Job und Familie allem gerecht zu werden und auch selbst nicht auf der Strecke zu bleiben. Die leere Familienkasse ist da ebenso ein Treiber wie der Wunsch, möglichst viel intensive Zeit mit den Kindern zu verbringen, die ja so schnell groß werden. Einer, der dieses Family-Game komplett durchgespielt hat, ist Wolf Küper. Der hat seinen aufreibenden Job in der internationalen Umweltpolitik aufgegeben, um mit der Familie auf Reisen zu gehen. Seine vielen Erlebnisse hat er in dem Bestseller „Eine Million Minuten“ aufgeschrieben und damit bereits viele Familien inspiriert und begeistert. Nun läuft seine Geschichte auf der großen Leinwand. Daher haben wir Wolf Küper zum Interview gebeten.

Hinter dem Titel verbirgt sich der Wunsch seiner damals vierjährigen Tochter, zusammen als Familie eine Million Minuten zu verbringen. Für KiTa-Kinder ist das ja quasi eine unendlich große Zahl und daher eine ewig lange Zeit. Für Wolf Küper mit Taschenrechner waren es 695 Tage, also knapp zwei Jahre. Bis dahin war er viel unterwegs, um sich für Umwelt- und Klimaprojekte unter anderem für die Vereinten Nationen einzusetzen. Als bei seiner Tochter Nina aber eine Krankheit diagnostiziert wurde und sie den Wunsch nach der Familienzeit äußerte, entschied sich Wolf Küper zusammen mit seiner Frau für eine Reise. Zuerst noch mit dem Plan, von unterwegs zu arbeiten.

Wolf Küper (2.v.l.) mit Familie & Cast bei der Premiere // © Warner Bros. Pictures (Andre Mischke)

Ob sie die zwei Jahre durchgehalten haben, warum es nicht immer alles nur rosarot war und welche Abenteuer die Vier erlebt haben, gibt es jetzt im Kino zu sehen. Ein toller Cast in einem wirklich großartigen Film. Wir wollten noch mehr darüber erfahren, daher haben wir Wolf Küper um ein paar Antworten gebeten.

Interview mit Wolf Küper

1. Wir haben dich erwischt, weil gerade dein erfolgreiches Buch mit deiner Vatergeschichte verfilmt wurde. Aber sag doch einmal kurz, wer du bist und was du treibst.

Wolf Küper: Das Buch heißt „Eine Million Minuten“, der Film auch. Die Million hatte sich meine damals vierjährige Tochter Nina gewünscht, nachdem ich die üblichen schlappen 10 Minuten angeboten hatte, um noch was vorzulesen. Damit war sie überhaupt nicht einverstanden… Wir sind letzten Endes tatsächlich 1 Million Minuten um die Welt gereist. Aus dem Reise-Tagebuch wurde ein Buch, daraus ein Film, und jetzt bin ich hier. Aktuell bin ich überwiegend Hausmann und Vater.

2. Mit „Eine Million Minuten“ hast du deine Geschichte aufgeschrieben, wie du vom Workaholic zum besseren Vater geworden bist. Kann das Inspiration für andere sein oder ist das sehr persönlich?

Viele Kumpels von mir möchten nicht mehr so spät von der Arbeit nach Hause zu kommen, dass ihr Kind schon schläft. Der Gutenachtkuss ersetzt keine lebendige Beziehung und Kinder sehen durch alle Begründungen für wenig Zeit durch wie durch Glas. Viele meiner Kumpels haben gesagt, das Buch hätte ihnen Mut gemacht. Das Buch ist auch für alle, die „schon immer“ oder „eigentlich“ oder „irgendwann“ ihren großen Traum wahrmachen wollen. Ich würde mich freuen, wenn jemand sagt: „Was die können, können wir schon lange“. Oder: „Ich habe überhaupt keine Lust, zwei Jahre lang durch die Weltgeschichte zu gondeln. Aber ich wollte schon immer…- und damit fang‘ ich heute an!“

Und ich glaube, dass die große Reise eben bei Home-Office, Teilzeit, Elternzeit, Sabbatical, Online-Schule (ja, ist legal), Job-Sharing, und sicher auch einer diverseren und dynamischeren Rollenverteilung zwischen den Partner*Innen beginnt.


3. Deine Tochter hatte gesundheitliche Probleme, was die Entscheidung nach gemeinsamer Zeit verstärkt hat. Wäre die Geschichte auch unter anderen Voraussetzungen passiert?

Ich würde auch gerne mal wissen, warum Veränderungen so oft erst dann passieren, wenn man mit dem Rücken zur Wand steht. Wäre Nina nicht gewesen, hätte ich es vermutlich nicht geschafft. Vielleicht wäre ich jetzt ein „beruflich enorm Erfolgreicher“, der leider kaum Kontakt zu seinen Kindern hat und sich seit Jahren in Dating-Portalen rumtreibt, aber ja sowieso nie und nirgendwo zu Hause ist und keine Zeit für irgendetwas hat außer eben das Erfolgreichsein. Ist übertrieben, aber frag mal jemanden, der Manager coached…

Ich habe einfach unglaublich Glück gehabt, denn wir hatten gar keine Alternative dazu, alles neu zu denken. Alle Ärzte haben uns gesagt, wir sollten uns Zeit füreinander nehmen. Wir haben dann fast zwei Jahre lang versucht, diese Zeit im normalen Alltag zu organisieren, was einfach unter unseren speziellen Voraussetzungen nicht geklappt hat. Dann hieß es: „Wie weit müssen wir reisen, damit wir Zeit haben?“ Ich habe einen riesigen Respekt vor Familien, die es im Normalbetrieb schaffen, Zeit füreinander zu organisieren.

4. Für einen Ausstieg braucht es das nötige Kleingeld und finanzielle Sicherheiten, denn wie die Protagonisten schnell merken, ist „Beach Office“ keine Lösung. Somit gehörst Du wahrscheinlich zu einem privilegierten Kreis, der sich so etwas leisten kann, oder?

Ich würde die Idee des Beach Office nicht so leicht aufgeben… :-)

Wir haben während dieser besten Zeit unseres Lebens etwa 35.000 € mehr ausgegeben als im Normalbetrieb zu Hause in Bonn. Das entspricht dem Preis von einem VW Passat mit Carport. An dem entsprechenden Darlehen habe ich bis 2020 abgezahlt, wir hatten fast all unser Hab und Gut verkauft; finanzielle Sicherheiten hatten wir keine. Wir waren trotzdem privilegiert, denn für viele wäre das alles gar nicht erst möglich gewesen. Warum eigentlich verdienen viele Menschen, die hart arbeiten, so wenig, dass am Ende des Monats selbst für die Verwirklichung kleiner Träume kaum etwas übrig ist? Gleichzeitig geht der materielle Wohlstand einer Minderheit durch die Decke. Mich erstaunt, dass es für diese Entwicklungen seit 20 Jahren angeblich keine politische Lösung gibt.

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© Warner Bros. Pictures

5. Was hast Du während deiner eigenen Erlebnisse über die Vaterrolle gelernt und was wäre die Botschaft an alle werdenden und frischgebackenen Papas?

Die ganzen Nachteile der Elternschaft liegen ja auf der Hand und sie sind echt brutal. Es ist ok zu sagen „Ich glaube, ich kann nicht mehr“ und Hilfe zu suchen. Ich weiß aber auch: Am Ende bekommt man immer mehr, als man gibt. Die ersten Schritte des eigenen Kindes, der erste Satz, die Chance, ehrlich gebraucht zu werden, nie einsam zu sein, die Veränderung des Verhältnisses, wenn später einmal aus Kindern Jugendliche und Erwachsene werden und man selbst immer mehr zu einem Freund wird, die (zugegeben knappen) Erzählungen von der ersten Party, dieses ganze begeisterte Lebensfeuerwerk, für das nur man selbst als Elternteil exklusive VIP-Tickets hat – für mich ist das ein Lebenselixier. Glaubt mir – es wird wirklich alles gut.

6. Ist es nicht auch komisch, die Figuren aus dem eigenen Buch plötzlich auf der Leinwand zu sehen? Oder warst Du sofort begeistert von der Idee?

Als ich mit meiner Frau zum ersten Mal im Zoo Palast in Berlin die Rohfassung des Films gesehen habe, war das total abgefahren. Auf so einer Riesen-Leinwand flimmerte auf einmal unser Lieblingsstrand auf einer kleinen Insel in der Andamanensee. Nina und ich hatten dort ein Spiel, bei dem ich sie immer auf einem Palmblatt hinter mir hergezogen habe. Und dann erscheint plötzlich Tom Schilling am Bildrand und zieht die kleine Pola Friedrichs auf einem Palmblatt an uns vorbei. Währenddessen sagt Karoline Herfurth im Hintergrund Sachen, die meine Frau immer sagt. Das war vollkommen surreal. Das kriegt man tatsächlich kaum verarbeitet.

Eine Million Minuten Poster

Titel: Eine Million Minuten
Kinostart: 1. Februar 2024
Genre: Komödie, Drama, Familie
Länge: 125 Minuten
FSK: Ab 0 Jahren

Besetzung:
Karoline Herfurth
Tom Schilling
Pola Friedrichs
Anneke Kim Sarnau
Rúrik Gíslason
Ulrike Kriener
Joachim Król


7. In deinem Job bei der UN hat dich sicherlich auch das Gefühl getrieben, die Welt retten zu müssen. Fiel es daher auch besonders schwer, beruflich kürzer zu treten oder auszusteigen?

Wissenschaftler*Innen liefern Fakten – die Welt retten müssten eigentlich Politiker*Innen (und Wähler*Innen). Ich hatte schon Angst davor, wie es sich wohl anfühlen wird, wenn ich institutionell nix mehr zu sagen habe. Aber in dem Bereich, in dem ich gearbeitet habe, ist es so: Alle Fakten sind seit mindestens 10 Jahren auf dem Tisch. Jede*r Politiker*In weiß exakt, was zu tun ist. Im Bereich Klimawandel, Biodiversitätsverlust und Umweltzerstörung gibt es nichts zu deuteln oder zu zweifeln. Ursachen, Dringlichkeit, Konsequenzen, und Handlungsbedarf sind klar und es braucht auch keine Wissenschaftler*Innen mehr, die das zum zweihundertsten Mal wiederholen. Außerdem habe ich dann später als Lehrer gearbeitet, unter anderen an einer Schule in Südafrika – das war einer der besten Berufe, die ich je gemacht habe.

8. Wir wollen auf keinen Fall die Papas bashen, aber in der „Gleichung Familie“ sind sie wahrscheinlich am ehesten der Problemfaktor, oder? Es scheint ja am Ende doch irgendwie oft an den Papas und deren Bereitschaft zu liegen, sich auf die neue Situation einzulassen.

Zumindest sind die Fakten zu Gender Care Gap, Gender Leisure Gap, der Verteilung von Mental Load und Elternzeit eindeutig. Das Problem? It`s hard to say it – it’s probably me. Ich ziehe den Hut vor allen, die es gut machen. Es hat auch was mit den gesellschaftlichen Maßstäben zu tun, nach denen Männer heutzutage immer noch Anerkennung bekommen. Ich kenne mich da mittlerweile gut aus, weil ich die From-Hero-to-Zero-Laufbahn komplett absolviert habe. Warum ist ein Bitcoin-Trader, der mit Sixpack aus einem SUV steigt, cool, und ein Papa, der ohne Sixpack nachts auf Legosteine steigt, nicht cool?


9. Wie war die Rückkehr? Was ist deinen Kindern bei der Eingliederung in ein „normales“ Leben schwergefallen?

Eine so lange Reise ist nicht mehr rückgängig zu machen, und sie hat eigentlich auch nicht mehr aufgehört. Jeder Ort, an dem wir leben, wie in den letzten Jahren Kapstadt, ist jetzt eher eine freiwillige Station. Selbst die Kinder wissen, dass es Alternativen gibt. Nina hat zum Beispiel letzte Woche verkündet, sie wolle nur noch halbtags zur Schule, und auch erst dann, wenn sie „vernünftig“ ausgeschlafen hätte. Ansonsten sollten wir doch besser mal wieder woanders hin…

10. Werden Deine Kinder in Deutschland einmal klarkommen oder werden sie ständig unterwegs sein müssen?

Sie sollen einfach nur wissen, dass sie eine Wahl haben. Was sie daraus machen, ist ihre Sache. Mein Sohn kann Postbeamter in Unterdottenheim werden, Surflehrer auf Tahiti, oder alles dazwischen. Hauptsache, er macht das, was gut für ihn und andere ist.

11. Der Film ist wirklich super geworden. Bist Du auch happy mit der Umsetzung? Erkennst Du euch wieder? Und inwieweit hast du den Dreh begleitet?

Es gab keine Überraschungen, weil der Regisseur Chris Doll und ich wirklich jeden einzelnen Buchstaben in den Drehbuchfassungen gemeinsam angeschaut und diskutiert haben. Manchmal bin ich trotzdem im Kinosessel geschrumpft… Tom Schilling spielt die Figur „Wolf an Wäscheständer“ so schmerzhaft real, dass ich beim Zuschauen manchmal gebetet habe, dieser Wolf solle sich bitte zusammenreißen… Und dann kommt auch noch dieser strahlende Isländer Rúrik Gíslason vorbeigeschlendert… Ich habe mit Chris Doll darüber gesprochen, ob das mit dem Wolf denn so sein muss. Und er hat Recht – es muss. Weil es so ist. Ich war da schon, und insofern ist es fair.

Hier könnt ihr euch mit dem Trailer schon mal etwas einstimmen:

YouTube Video


Mein lieber Wolf, vielen lieben Dank für deine spannenden Antworten. Wir können allen Müttern und Vätern dein Buch und auch den Kinofilm Eine Million Minuten auf jeden Fall ans Herz legen. Sei es, um sich entspannt unterhalten zu lassen. Oder um es als Anlass zu verstehen, die eigene Situation abzuklopfen und möglicherweise auch Dinge zu verändern.

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1 Comment
  • Jutta Imhof
    Jutta Imhof
    22. Februar 2024 at 08:57

    Hallo Herr Bösel
    Danke für das Interview! Wr haben den Film gesehen und waren erschüttert über die Parallelen zu jungen, befreundeten Familien, die ebenso ausgebrannt erscheinen wie jene im Film. Dazu braucht es nicht einmal eine derartige Schreckdiagnose eines Kindes, es reichen auch so harmlos erscheinende, „normale“ „Krankheiten“ wie Zahnen, permanente Erkältungen oder Darmprobleme, und „übliche Kinderkrankheiten“, welche die Kinder von Krippe, Hort und später von Kiga und Schule mitbringen und damit jeweils mit 100%iger Sicherheit das ganze familiäre Umfeld anstecken!! – und es schier dauerhaft für Jaaaahre!! in einen wuchtigen Überlebensmodus katapultiert…. Soweit so gut, bzw. natürlich bei weitem nicht gut!! Ich habe eine Frage: Wie heisst das Kinderbuch, aus dem der Vater seiner Tochter abends im Bett vorliest (sie wählt den Buchstaben „U“) ? Ich suche es bereits überall, kann es aber nirgends finden! Sehen sie eine Möglichkeit, dies in Erfahrung zu bringen? Ich würde es gerne meinen Enkelkindern vorlesen und wäre Ihnen von Herzen dankbar, wenn Sie mir helfen könnten. Herzliche Grüsse, Jutta Imhof

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